Pflichtdienst: Eine gute Idee?

Freiwilligendienste vs. Pflichtdienste: Die Unterschiede

Was ist ein Freiwilligendienst?

In einem Freiwilligendienst engagieren sich überwiegend junge Menschen in einer gemeinwohlorientieren Einrichtung im sozialen Bereich, in der Kultur, im Sport oder im Naturschutz. Dabei sammeln sie erste Berufserfahrungen und lernen, eigene Projekte auf die Beine zu stellen. Begleitende Bildungsangebote stärken die Persönlichkeitsentwicklung und die Reflektion über die Welt, in der wir leben.

Ein Freiwilligendienst kann nach der Schule, in einer Studienunterbrechung, nach dem Studium oder auch in höherem Alter absolviert werden. Auch ein Dienst im Ausland ist möglich.

Im Jahr 2019 haben rund 100.000 Menschen einen Freiwilligendienst absolviert.

Was ist ein Pflichtdienst?

Einen Pflichtdienst gibt es aktuell in Deutschland nicht, die Debatte über eine mögliche Einführung wird jedoch immer wieder angefacht. Die Grundidee ist, junge Menschen dazu zu verpflichten, sich ein Jahr für die Gesellschaft zu engagieren. Dabei haben viele den Zivildienst im Kopf, der 2011 mit der Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland faktisch beendet wurde.

Warum ein Pflichtdienst nicht nötig ist

Junge Menschen müssen nicht zu sinnvollen Tätigkeiten gezwungen werden. Das beweisen jedes Jahr über 100.000 überwiegend junge Menschen, die sich in einem Freiwilligendienst engagieren.

„Der Staat kann Ehrenamt und Engagement durch weniger Bürokratie und mehr Anerkennung unterstützen, aber er kann nicht darüber verfügen. Solidarität und Gemeinsinn lassen sich nur wirklich in Menschen verwurzeln, wenn sie sich freiwillig und selbstbestimmt dafür entscheiden.“ Lisi Maier, BDKJ-Bundesvorsitzende (2012-2021)

Oft argumentieren Menschen, die selbst einen Zivildienst absolviert haben, sich aufgrund des Freiwilligendienstes anschließend für einen sozialen Beruf entschieden zu haben. Dabei werden oft jene vergessen, die durch schlechte Erfahrungen im Zivildienst, beispielsweise durch unzureichende Begleitung oder qualitativ schlechte Bildungsangebote, keinen sozialen Beruf ergriffen haben. Auch ist nicht nachzuweisen, wie viele Menschen nicht ohnehin, durch andere Erfahrungen, den Wunsch nach einem sozialen Beruf verspürt haben.

Ein Pflichtdienst widerspricht sogar der Europäischen Menschenrechtskonvention, nach der niemand gezwungen werden darf, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. Einzige Ausnahme wäre eine Wehrpflicht in einer existentiellen Bedrohungssituation. Hiervon kann jedoch mit Blick auf eine defizitäre Sozialpolitik wie auch auf eine nicht gelungene Bundeswehrreform keine Rede sein.

Freiwilligendienste stärken statt Pflichtdienst einführen!

Es gibt bereits Dienste, in denen sich oft junge Menschen für die Gesellschaft engagieren. Wenn die Politik das Potenzial der Freiwilligendienste erkennt und die Strukturen stärkt, wird sich die Debatte rund um Pflichtdienste schnell erledigen.

Freiwilligendienste müssen zugangsoffen ausgestaltet werden können, damit sich möglichst viele Menschen proaktiv für einen Freiwilligendienst entscheiden können. Dazu besteht z.B. Änderungsbedarf bzgl. verschiedener Verwaltungsvorschriften, die Zugänge für interessierte Menschen mitunter erschweren. Hierzu zählt die einheitliche Regelung des Wohngeldanspruchs oder die Abschaffung der Berücksichtigung des Taschengeldes bei ALG II-Empfänger*innen und Bedarfsgemeinschaften.

Außerdem fordern die verbandlichen Zentralstellen der Freiwilligendienste schon seit 2017 den kostenlosen Nahverkehr für Freiwilligendienstleistende. Anfang 2020 wurde die kostenlose Fahrt mit dem ÖPNV für Soldat*innen realisiert.

Versorgungslücke nach der Wehrpflicht: Was ist dran?

Ein Zahlenspiel: Im Jahr 2008 wurden 85.149 junge Männer zum neunmonatigen Zivildienst einberufen. Hinzu kamen 24.800 Freiwilligendienstleistende. Mit der Berücksichtigung der kürzeren Einsatzzeit im Zivildienst, wurden rund 90.000 Einsatzplätze im sozialen und ökologischen Bereich besetzt.

Im Jahr 2019 leisteten rund 100.000 überwiegend junge Menschen einen Freiwilligendienst. Von einer Versorgungslücke durch die Aussetzung der Wehrpflicht kann also nicht die Rede sein. Der Pflegenotstand existiert unabhängig davon.

Im Falle einer Dienstpflicht müsste Schätzungen zu Folge für 560.000 junge Menschen eine Tätigkeit gefunden werden. Wenn davon 60.000 freiwillig zur Bundeswehr gehen, bleiben noch 500.000, die im zivilen Bereich eingesetzt werden müssten. Für 500.000 Menschen eine leistbare Tätigkeit zu finden, die der Arbeitsmarktneutralität gerecht werden würde, wäre eine kostspielige und aufwändige Verwaltungsaufgabe. Dabei entsteht außerdem die Gefahr, dass niedrig qualifizierte Menschen vom Arbeitsmarkt verdrängt werden würden.

Zudem wäre es schwer leistbar, die hohen Qualitätsstandards in der pädagogischen Begleitung der Freiwilligendienste aufrecht zu erhalten. Ausgangspunkt der Argumentation für die Möglichkeit zum Engagement müssen die Bedürfnisse der jungen Menschen und nicht die Bedürfnisse der Einrichtungen sein.

Soziale Berufe sind anspruchsvoll und wertvoll!

Ja, wir haben in Deutschland einen Pflegenotstand. Und ja, an diesem Fachkräftemangel muss dringend gearbeitet werden. Begegnen wir dem Fachkräftemangel in sozialen und pflegerischen Berufen jedoch mit einem Pflichtdienst, würde das der dringend notwendigen Aufwertung der Berufe in diesem Bereich im Wege stehen. Was soziale Berufe brauchen ist eine angemessene Bezahlung, ein professionelles Arbeitsumfeld und Wertschätzung durch die Gesellschaft. Ist der Bereich bei vielen mit Zwang verbunden, werden wichtige soziale Berufe in den Köpfen der Menschen eher abgewertet.

Woher kommt die Debatte um den Pflichtdienst?

Die Debatte rund um Pflichtdienste hat ihren Ursprung in der Diskussion um Personalmangel in der Bundeswehr. In Zeiten von Fachkräftemangel im Pflegesektor werden verpflichtende Sozialdienste als Antwort auf drängende Fragen der Gesellschaft immer wieder reflexartig ins Spiel gebracht. Befürworter*innen erhoffen sich einen Beitrag gegen die Entsolidarisierung der Gesellschaft.

Wir sagen: Es ist zutiefst unsolidarisch, nur eine bestimmte Personengruppen – hier wird in der Regel auf junge Menschen ab dem 18. Lebensjahr abgehoben – in die Pflicht zu nehmen um Versäumnisse an anderer Stelle zu kompensieren. Wie würde „die Gesellschaft“ reagieren, wenn die Pflichtdienstforderung nicht an die 18-Jährigen sondern beispielsweise an alle Rentner*innen adressiert wäre?

Kontakte

Franziska von Deimling

Referentin für Jugendsozialarbeit
Tel. 0211 / 4693-164
deimling [at] bdkj.de

Gregor Podschun

BDKJ-Bundesvorsitzender
Tel. 02 11 / 46 93 - 162
podschun[at]bdkj.de