Ein gedanklicher Ausflug nach Belarus

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(Bild: BDKJ-Bundesstelle)

Belarus, im deutschen Volksmund auch Weißrussland genannt, war Thema zweier Treffen. Am Freitag trafen wir uns mit Tatsiana Chulitskaya, einer Dozentin für Politikwissenschaft der European Humanities University und dem Präsidenten der Studentenorganisation, Timofei, der seit zwei Jahren an der European Humanities University eingeschrieben ist.

Die beiden gaben uns einen sehr interessanten Einblick in die geschichtliche Entwicklung von Belarus. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es 1994 die ersten und laut Aussage unserer Gesprächspartner einzigen demokratischen Präsidentschaftswahlen in Belarus. Legitimer Wahlsieger war Alexander Lukaschenko, der das Land seither regiert und seit Beginn seiner Amtszeit immer wieder Reformen durchführt um seine Macht zu festigen. So hat er beispielweise die Möglichkeit der Wiederwahl geöffnet, so dass es nun möglich ist, mehrmals hintereinander zum Präsidenten gewählt zu werden.

Die European Humanities University wurde ursprünglich in Belarus gegründet, aber aufgrund politischer Gründe kurze Zeit später geschlossen. Im Jahr 2004 wurde die Universität schließlich als Exiluniversität in Vilnius wiedereröffnet. Gleich im ersten Studienjahr verließen etwa 1.500 junge Leute Belarus um sich in der neuen Universität zu immatrikulieren. Die Universität wird von der Europäischen Union finanziell unterstützt, besondere Hilfen kommen aus Schweden und Deutschland. Timofey erzählte, dass er zuerst in Minsk studierte und dort exmatrikuliert wurde, da er sich einer Studierendenorganisation anschloss und an Demonstrationen teilnahm. Auch im Umfeld von Präsidentschaftswahlen würden immer wieder Studenten exmatrikuliert und Angestellte in staatlichen Betrieben und Institutionen entlassen werden, wenn offensichtlich war, dass sie mit dem politischen System nicht einverstanden sind. So war es auch für Timofey die richtige Entscheidung, sich an der Exiluniversität in Vinius zu immatrikulieren, um dort in einem Umfeld studieren zu können, in der die Meinungs- und Lehrfreiheit nicht eingeschränkt ist und in dem es - ohne Konsequenzen befürchten zu müssen - möglich ist, sich in einer Studierendenorganisation auch politisch zu engagieren.

Eine gute Ergänzung zu diesem Bild brachte das Treffen mit dem belarussischen Jugendring RADA am Samstagvormittag. Dima, der Vorstand und Olga, die Geschäftsführerin des Jugendrings waren extra aus Minsk angereist, um sich mit uns zu treffen. 1996 in Belarus offiziell gegründet, wurde die Registrierung zehn Jahre später im Jahr 2006 wieder zurückgezogen. Bis 2012 wurde die Arbeit im Untergrund und auf europäischer Ebene weitergeführt und schließlich in Vilnius wieder offiziell registriert. Unterstützung in dieser schwierigen Phase erfuhr der Jugendring durch das European Youth Forum und auch von den Jugendringen in Deutschland und Schweden. Heute hat der belarussische Jugendring 20 Mitgliedsverbände aus den Bereichen Umweltschutz, Politik, Geschlechtergerechtigkeit, formeller und informeller Bildung sowie von Universitäten. Der Jugendring sieht sich als Plattform für Jugendverbände, um deren Austausch zu fördern und sie auch individueller unterstützen zu können. Daneben bietet er einmal im Jahr in einer sogenannten „Academy“ Management-Kurse für engagierte junge Erwachsene an, bei denen sie dafür geschult werden Führungsverantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen. Eine weitere wichtige Tätigkeit ist die Anfertigung von Studien zur Situation der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Belarus, da es solche bislang nicht gibt, ebenso wenig wie ein Ministerium, das die Jugendlichen als spezielle Zielgruppe ins Auge nimmt.

Insgesamt lässt sich sagen, dass alle Teilnehmer*innen des Fachkräfteaustausches einen guten Einblick in dieses für die meisten von uns so fremde Land gewonnen haben. Die Aktivitäten der Exiluniversität, des Jugendringes und der belarussischen Regierung sind uns anschaulich vor Augen geführt worden. Demokratische Strukturen, die für unsere Jugendarbeit in Deutschland so selbstverständlich sind, müssen hier erst noch etabliert werden. Das Engagement unserer Gesprächspartner*innen für die Demokratie und ihr Land ist sehr beeindruckend.

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