Teil 1: Der Verband

Der Blick zurück

Die Archivarin vom Jugendhaus Düsseldorf, Maria Wego, blickt zurück auf die Gründung des Verbands und seine Entwicklung.

Dienstag, 14. Dezember 1915: Der Erste Weltkrieg hatte bereits seit Monaten Europa fest im Griff, als an diesem Tag in Köln die Gründung des Zentralverbandes der Jungfrauenvereine Deutschlands erfolgte. In ihm schlossen sich mehrere bereits bestehende Diözesanverbände[i] zusammen, die seit 1910 nach und nach entstanden waren. In ihnen waren Mädchenvereine organisiert, die ihre Wurzeln in den seit dem 16. Jahrhundert bestehenden Kongregationen hatten. Sie verstanden sich als Antwort auf die gesellschaftlichen Veränderungen, die die Industrialisierung mit sich gebracht und zu einer zunehmenden Erwerbstätigkeit der Mädchen geführt hatte.

Neben spirituellen Angeboten gab es ein umfangreiches Freizeitangebot für die 14- bis 20-jährigen. Zur Arbeit des Verbandes gehörten Schulungskurse für Leiterinnen, Wallfahrten, der Aufbau von Sportgruppen, spezielle Zeitschriften für beide Altersgruppen des Verbandes (14 bis 16 und 17 bis 20 Jahre) und für die Präsides, politische Bildungsarbeit[ii] sowie die Interessensvertretung in Kirche und Staat. Nach dem altersbedingten Ausscheiden wurde den Mitgliedern ein Wechsel in einen der Berufs- oder Standesverbände empfohlen, d.h. der Verband selbst unterteilte nicht nach Berufen. Er verstand sich ausschließlich als Jugendverband, der die jungen Mädchen auf dem Weg in das Erwachsenenleben begleitete. An der Spitze stand, ganz gleich ob Ortsverein, Diözesan- oder Zentralverband, ein aus dem Präses, der Präfektin, der Schriftführerin und der Kassenwartin bestehender Vorstand. Damit waren die Jugendlichen direkt in die Verbandsleitung eingebunden. In der Verbandszentrale jedoch nahmen diese Aufgaben - unverheiratete - Frauen wie Sybille Eickelboom, Else Peerenboom oder Aenne van Royen wahr.

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[i] Paderborn, Köln, Hildesheim, Limburg, Mainz, Osnabrück, Freiburg, Rottenburg. Vgl. Aloys Haehling von Lanzenauer, Zentralverband der katholischen Jungfrauenvereinigungen Deutschlands, in: Hertha Siemering (Hg.), Die deutschen Jugendverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation, Berlin 1918, S. 194.

[ii] Diese steckte durchaus noch in den Kinderschuhen, wurde aber vor allem deshalb beachtet, da Frauen in Deutschland seit dem 12. November 1918 Wahlrecht hatten.

Das Bundeshaus um 1930 – Heute ist hier der Sitz des kfd-Bundesverbandes (Foto: Archiv Jugendhaus Düsseldorf)

Erster Generalpräses des Zentralverbandes wurde der langjährige Diözesanpräses der Jungfrauenvereine des Erzbistums Paderborn Aloys Haehling von Lanzenauer. Unter seiner Leitung und mit Unterstützung des Generalsekretärs Hermann Klens richtete der Verband sein Sekretariat in Bochum ein. Von dort wurde er über 13 Jahre auf- und ausgebaut. 1928 entschied sich der Verband zum Umzug nach Düsseldorf in die Nähe des Jugendhauses Düsseldorf, der Zentrale des Katholischen Jungmännerverbandes Deutschlands (KJMVD). Das sogenannte Bundeshaus war bis zum Verbot des Verbandes durch die Nationalsozialisten im Herbst 1939 nicht nur Zentralsitz der Jungfrauenvereine sondern auch der Katholischen Frauen- und Müttervereine (heute Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands). Hermann Klens führte als Generalpräses beide Verbände in Personalunion. Die daraus resultierende Zusammenarbeit beider Verbände wird bei verschiedenen Themen immer wieder deutlich, so bei der Frauenfriedenskirche oder der Rom-Wallfahrt 1935.

Der Aufbau des Verbandes wurde in den Jahren der Weimarer Republik abgeschlossen. In nationalsozialistischer Zeit wurde die Arbeit wie für alle anderen Jugendverbände schwierig. Trotz Verboten und Schließungen war der Verband aber nicht so hart betroffen wie der KJMVD.[i] Gemäß des Herrschaftsanspruches der Nationalsozialisten standen zwar auch die Mädchenverbände im Blickpunkt des Interesses. Geprägt durch das Rollenbild der Zeit und der Nationalsozialisten standen sie aber nicht derart im Fokus wie die Jungen, die zukünftig politisch Verantwortung tragen würden. Dies wird beispielsweise bei der Romfahrt des Zentralverbandes und der Frauen- und Müttervereine 1935 deutlich. Die im gleichen Jahr stattfindende Fahrt der Jungen (Sturmschar, Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg, Bund Neudeutschland) fand deutlich mehr Aufmerksamkeit und hatte für die Teilnehmer teilweise harte Konsequenzen wie der Verlust des Ausbildungsplatzes.[ii]

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[i] Vgl. hierzu Webausstellung Verbot 1939

[ii] Vgl. hierzu Webausstellung Verbot 1939

Mädchen und Jungen auf dem Bekenntnistag der Saarjugend, der allerdings schon 1934 stattfand (Foto: Archiv Jugendhaus Düsseldorf)

Wenn auch der Zentralverband der Jungfrauenvereine in der Weimarer Republik der größte Mädchenverband war, so war er doch nicht der einzige katholische Verband, in dem sich Mädchen engagieren konnten. Dazu zählen der 1926 gegründete und dem Bund Neudeutschland nahestehende Heliand-Mädchenkreis[i], die katholischen Pfadfinderinnen und der Quickborn, in dem jedoch Mädchen und Jungen gemeinsam organisiert waren. Zudem gab es den Süddeutschen Verband katholischer weiblicher Jugendvereine, der auf die süddeutschen Patronagen[ii] zurückging.[iii]

Auch wenn jeder Verband auf seine Eigenständigkeit und sein Profil bedacht und auch die Geschlechtertrennung selbstverständlich war, so arbeiteten Jungen- und Mädchenverbände im Bund der katholischen Jugend deutschlandweit zusammen und hielten auch ansonsten untereinander Verbindung. So nannte der Zentralverband als Grund für den Umzug nach Düsseldorf auch die räumliche Nähe zum KJMVD. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Jugendverbände ohne weitere Diskussion 1936 dem Aufruf der deutschen Bischöfe zu einem gemeinsamen Bekenntnistag folgten.

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[i] Heute bilden beide gemeinsam die Katholische Studierende Jugend KSJ.

[ii] Patronagen bedeutet hier die besondere Förderung der Mädchen durch Frauen.

[iii] Vgl. Max Stritter, Der Süddeutsche Verband katholischer weiblicher Jugendvereine (Sitz Leohaus, München), in: Hertha Siemering (Hg.), Die deutschen Jugendverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation, Berlin 1918, S. 203-209.

Wallfahrt zum Annaberg in Schlesien 1937 (veröffentlicht in der Zeitschrift Knospen) (Foto: Archiv Jugendhaus Düsseldorf)

Wie alle anderen Jugendverbände so wurde auch der Zentralverband schließlich von den Nationalsozialisten verboten und das Bundeshaus im Herbst 1939 geschlossen. Die Verbände, die bis dahin Träger der Jugendarbeit gewesen waren, konnten diese Aufgabe nicht mehr erfüllen. Die deutschen Bischöfe verfassten daher 1936 Richtlinien für die Jugendseelsorge. Sie war nun Aufgabe der Bischöfe und der Pfarrer. Das Wissen und die Erfahrungen im Bereich Mädchenpastoral brachte Generalsekretär Hermann Klens in den sogenannten Dreierat für Jugendseelsorge ein, dem neben ihm noch der Generalpräses des KJMVD, Ludwig Wolker, und der Gründer des Bundes Neudeutschland, Pater Ludwig Esch angehörten. Auf zahlreichen Kursen in den Diözesen führten sie Pfarrer und Kapläne in die Jugendseelsorge ein und dies trotz der zunehmenden Kriegswirren.

Die Mädchen führten ihr Gruppenleben neben der verpflichtenden Mitgliedschaft im Bund deutscher Mädel so gut es ging fort. Die meisten Aktivitäten spielten sich unter dem Kirchturm ab, so dass der Begriff des „Sakristei-Christentums“ geprägt wurde. Darüber hinaus waren nur Wallfahrten, also religiöse Aktivitäten, erlaubt. Um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, suchten die Mädchen und ihre Präsides zudem Auswege. „Unser Kaplan hat unsere Wanderungen immer zu einer Wallfahrt gemacht. Irgendwo war ein Kapellchen, das das Ziel war, und so waren wir immerzu auf ‚Wallfahrt‘. Trotzdem waren wir vorsichtig und haben uns vor Ortschaften in kleine Gruppen aufgeteilt, die voneinander getrennt durch den Ort gingen“, erinnerte sich eine Zeitzeugin später an diese Jahre.[i] Der Krieg trennte viele Gruppen schließlich durch Flucht, Vertreibung und Evakuierung.

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[i] Hildegard Exler (1914-2013) war Mitglied der Jungfrauenkongregation St. Rochus, Düsseldorf und berichtete zwischen 2003 und 2013 Maria Wego, Archivarin des Jugendhauses Düsseldorf, in verschiedenen Gesprächen von der Jugendarbeit der Gemeinde.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand die katholische Jugendarbeit vor neuen Herausforderungen, hatte aber gleichzeitig neue Möglichkeiten. Im Auftrag der deutschen Bischöfe kümmerte sich Ludwig Wolker von Altenberg aus um den Neuaufbau katholischer Jugendarbeit. An seiner Seite wirkte Hermann Klens. Damit waren zwei Mitglieder des Dreierrates für Jugendseelsorge und die ehemaligen Generalpräsides der beiden großen Verbände (Katholischer Jungmännerverband Deutschlands - KJMVD und Zentralverband der Jungfrauenvereinigungen Deutschlands) zentral mit der Aufgabe des Wiederaufbaus betraut.

Die Bischöfe dachten weniger an die Wiedergründung der alten Verbände als an eine auf Diözesanebene organisierte Pfarrjugend. Während überall im Land die Verbände wieder ihre Arbeit aufnahmen, entstanden KJMVD und Zentralverband nicht wieder in alter Form, was angesichts des Auftrags an Wolker und Klens nicht verwundert. Die beiden Verbände wurden vielmehr 1947 bei der Gründung des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) eine Gliedgemeinschaft des BDKJ, in der die Pfarrjugend organisiert war. An der Spitze des BDKJ standen neben Wolker und Klens als BDKJ-Gründungmitglieder Josef Rommerskirchen und Dr. Ludgera Kerstholt.

Zwar waren im BDKJ Jungen und Mädchen gemeinsam organisiert und damit die Geschlechtertrennung in gewisser Weise aufgehoben, doch innerhalb der Gliedgemeinschaften und des BDKJ wurde zwischen Mannes- und Frauenjugend lange getrennt. Zudem gab (und gibt) es reine Mädchenverbände. Aus dem Jahr 1959 ist eine Übersicht erhalten geblieben, die einen Eindruck von der Vielfalt gibt: Arbeitsgemeinschaft der Marianischen Kongregationen studierender Mädchen, Christliche Arbeiterjugend – Frauenjugend, Heliand – Bund katholischer Mädchen aus höheren Schulen, Jugendbund des katholischen deutschen Frauenbundes, Jugend des Berufsverbandes katholischer Hausgehilfinnen in Deutschland, Katholische Kaufmännische Frauenjugend im Verband KKF, Katholische Landjugendbewegung Deutschlands – Frauenjugend (damals noch eine Aktion im BDKJ), Pfadfinderinnenschaft St. Georg, Quickborn – Jüngerengemeinschaft – Frauenjugend und Katholische Frauenjugendgemeinschaft.

Den BDKJ-Vorstand bildeten neben den Bundespräsides Frauen- und Mannesjugend die Bundesvorsitzende und der Bundesvorsitzende[1]. Die Bundesvorsitzende war gleichzeitig auch Vorsitzende der Gliedgemeinschaft Frauenjugend bis diese 1969 in die Katholische junge Gemeinde (KJG) überging. Zunächst gehörte sie dem Bundesvorstand als einzige Frau an. Seit 1997 wurde die Satzung jedoch immer dahingehend geändert, dass stets gleichviel Frauen und Männer im Vorstand waren.[2] Anders als die Mannesjugend hatte die Frauenjugend mit der Bundesfrauenkonferenz zudem ein eigenes Gremium, das seit 1961 in der Satzung verankert war. In der Praxis erlebte sie in den Jahrzehnten intensive Arbeitsphasen und -pausen; seit 1986 arbeitet sie ohne Unterbrechung.

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[1] Damals lautete die Bezeichnung Bundesführerin bzw. Bundesführer. Der leichteren Lesbarkeit willen wird im Blog immer die heutige Bezeichnung verwandt.

[2] D.h. die Satzung wurde entsprechend angepasst. Seit es nur noch einen Präses gibt, gibt es auch nur noch zwei weibliche Vorstandsmitglieder.

Wie in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg umfasste die Arbeit die gesamte Bandbreite jugendverbandlicher Tätigkeit und deckte die Themen Glaubensfragen und –wissen, Freizeit und Beruf, Sexualität und Partnerschaft sowie Politik und Kirche ab.[1] Sie wurden in den Zeitschriften behandelt, die für die einzelnen Altersgruppen bzw. Aufgabengebiete herausgegeben wurden.[2] Die Bundesvorsitzende wurde von einer Referentin für Mädchenbildung und bis zur Gründung der KjG auch von einer Frohscharreferentin unterstützt.

Nach den ersten Aufbaujahren wurden auch neue Projekte in Angriff genommen, die bis heute wesentlicher Bestandteil der BDKJ-Arbeit sind: das soziale und entwicklungspolitische Engagement.[3] Die gemeinsame Arbeit an kirchen- und gesellschaftspolitischen Themen prägte zunehmend die Zeit ab den 1960-er Jahren. Als Stichworte seien hier nur die Würzburger Synode und die Friedenspolitik genannt. Ab Ende der 1980-er Jahre griffen Mädchen und Frauen verstärkt Themen in den Bereichen Mädchen- bzw. Frauenrechte und sexuelle Selbstbestimmung auf. In dieser Zeit traten sie auch stärker mit ihren Themen in Erscheinung, indem sie beispielsweise eine eigene Beilage zum Informationsdienst für die Mitglieder beisteuerten oder die Wanderausstellung „Nicht länger ohne uns“ zu 40 Jahren Mädchen und Frauen im BDKJ auf Reisen schickten. Damit zeigten Mädchen und Frauen, „daß einerseits große Aktionen wie Misereor und das Freiwillige Soziale Jahr ihren Ursprung im Engagement der Frauenjugend des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend Ende 50er Jahre haben. Andererseits zeigt es sich, daß die Selbstdarstellung nach außen und das, was man Politik nennt, ‚traditionell‘ Sache der Männer war und ist.“[4]

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[1] Diese Themen werden in den nächsten Monaten in verschiedenen Blogeinträgen näher betrachtet.

[2] Die Jungführerin, morgen, bunte Kette, Der Brunnen

[3][3] Diese Themen werden im März im Blog an. Hier seien nur die Stichworte Freiwilliges Soziales Jahr und Misereor genannt.

[4] BDKJ-Frauen entdecken ihre Geschichte. Einleitung im Ausstellungsheft „Nicht länger ohne uns“. Archiv des Jugendhauses Düsseldorf 02/039-004.

Der Blick nach vorn  

Konfetti: Die BDKJ-Bundesvorsitzende Lisi Maier (BDKJ-Bundesvorsitzende) und Yvonne Everhartz (Referentin für Jugendpolitik, Mädchen- und Frauenpolitik und Genderfragen an der BDKJ-Bundesstelle) freuen sich über 100 Jahre katholische Mädchen(verbands)arbeit. Gemeinsam geben sie einen Überblick über die Aufgaben und Themenschwerpunkte der Bundesfrauenkonferenz der letzten fünf Jahre. 

Die BundesfrauenkonferenzFür eine starke Mädchen und FrauenpolitikFür eine geschwisterliche KircheAktuelle HerausforderungenFrieden braucht FrauenDie Frage nach dem SelbstverständnisGeflüchtete Mädchen und Frauen im BlickWarum es die Bundesfrauenkonferenz überhaupt (noch) gibt?

Mädchen- und frauenpolitische Themen beschäftigen den BDKJ schon sehr lange. Seit fast 30 Jahren fassen die weiblichen Vertreterinnen der Mitglieds- und Diözesanverbände Beschlüsse im Feld der Mädchen- und Frauenpolitik, die für den Gesamtverband bindend sind. Darüber hinaus werden  die Anträge der BDKJ-Hauptversammlung aus frauenpolitischer Sicht jedes Jahr im Rahmen der Bundesfrauenkonferenz beraten.

„§ 13 Bundesfrauenkonferenz(1) Die Bundesfrauenkonferenz berät und beschließt über

  1. die Mädchen- und Frauenarbeit,
  2. gemeinsame Veranstaltungen und bundesverbandliche Schwerpunkte auf dem Gebiet der Mädchen- und Frauenpolitik und
  3. die mädchen- und frauenpolitische Interessensvertretung auf Bundesebene.“

(BDKJ-Bundesordnung, 2011)

So werden in der aktuellen Bundesordnung die Aufgaben der Bundesfrauenkonferenz beschrieben. Was aber waren in den vergangenen Jahren die mädchen- und frauenpolitischen Schwerpunkte mit denen sich die Bundesfrauenkonferenz befasst hat?

2010 erneuerte die Bundesfrauenkonferenz mit dem Beschluss „Für eine starke Mädchen- und Frauenpolitik“ einige Beschlüsse der zurückliegenden Jahre und machte in einer Zeit, in der sich viele Menschen in Deutschland fragten, ob es so etwas wie Feminismus oder emanzipative Mädchen- und Frauenpolitik überhaupt noch braucht, sehr deutlich, dass noch lange nicht „alles gut“ ist. Außenstehende reagieren häufig überrascht, wenn wir berichten, dass die Bundesfrauenkonferenz bereits 1996 die Abschaffung des Ehegattensplittings forderte und diese Forderung 2010 erneuerte. Bereits in einem Beschluss von 1995 wurden „Verbindliche Quoten und einklagbare Frauenrechte im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft“ gefordert, deren Nicht-Einhaltung Sanktionen nach sich ziehen sollte. Auch diese Forderung wurde 2010 erneut aufgestellt. Darüber hinaus beinhaltete der Beschluss Forderungen nach dem Abbau überholter Rollenzuschreibungen, transparente und diskriminierungsfreie Entlohnungssysteme sowie die Nicht-Einführung des Betreuungsgelds. Außerdem stellten sich die Delegierten der Bundesfrauenkonferenz 2010 solidarisch an die Seite der Hebammen, da die wohnortnahe Geburtsversorgung bereits damals in Schwierigkeiten war.

„Für eine geschwisterliche Kirche im respektvollen Miteinander“ spricht sich die Bundesfrauenkonferenz 2011 mit deutlichen Worten aus: „Die derzeitige Krise wird nur dann in eine tragfähige Erneuerung unserer Kirche münden, wenn alle am Dialog Beteiligten, Männer wie Frauen, Kleriker wie Laien, sich gegenseitig in Achtung und Anerkennung begegnen, zuhören und gemeinsam ernsthaft nach einem neuen kirchlichen Grundkonsens suchen. Denn wenn Kirche ‚an überkommenen Formen der Macht festhält, wird sie in der Öffentlichkeit nicht mehr plausibel machen können, wofür Kirche einsteht, und das trifft dann nicht nur die Kirche, sondern bedeutet die Krise des Christentums insgesamt. Miteinander so zu gestalten, dass authentische, neue, prophetische Stimmen aufbrechen, das ist von Bedeutung, (...) die Attraktivität christlichen Glaubens vorzuleben, in aller Vielfalt. Dann ist es wieder spannend, katholisch zu sein.‘“[1]

 

Konkret fordern die Delegierten zum Beispiel mehr Frauen in geistlichen Leitungsämtern, eine gerechte Teilhabe von Frauen in Leitungsgremien unserer Kirche, die Benennung weiblicher Gottesbilder und Identifikationsfiguren sowie geschlechtergerechte Sprache in der Liturgie.

 

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[1] Margit Eckholt, Saskia Wendel, Aggiornamento in Zeiten der Krise. Theologinnen fragen nach Macht und Ermächtigung in der Kirche, in: Herder Korrespondenz 65 (2/2011), 87. 

2012 feierten wir gemeinsam mit ehemaligen Delegierten das 25. Jubiläum der Bundesfrauenkonferenz. In einer Gesprächsrunde im „Goldenen Saal“ in Altenberg diskutierten Zeitzeuginnen aus unterschiedlichen Generationen über  zu ihrer Zeit aktuelle Herausforderungen und Chancen der Mädchen- und Frauenarbeit in Kirche, Politik und Gesellschaft. Parallel führte uns eine von Maria Wego, Archivarin im Jugendhaus Düsseldorf, zusammengestellte Ausstellung durch 25 Jahre Mädchen- und Frauenarbeit im BDKJ. Für ehemalige und aktuelle Mitglieder der Bundesfrauenkonferenz war es ein bewegendes Jubiläum.

„Mädchen und Frauen sind in den weltweit ausgetragenen bewaffneten Konflikten immer noch häufig Opfer von verschiedenen Formen der Gewalt – obwohl sie meist nicht als Kämpferinnen direkt am Kriegsgeschehen beteiligt sind. Die Berichte von sexualisierter Gewalt in den Balkankriegen, in verschiedenen Konflikten in Afrika sowie im Nahen Osten und auch die Übergriffe gerade auf junge Frauen im „Arabischen Frühling“ schockieren uns und veranlassen uns zu globaler Solidarität mit diesen Mädchen und Frauen.“ Mit „Frieden braucht Frauen!“ forderten die Delegierten der Konferenz 2013 Friedenspolitik mit Geschlechterperspektive.

In einem weiteren Beschluss forderte die Konferenz eine kritischere Auseinandersetzung mit Sexismus in den Medien und beschloss sich zukünftig zu diesem Thema zu engagieren.

Das Jahr 2014 stand für die Bundesfrauenkonferenz im Zeichen einer Diskussion über ihr Selbstverständnis und die zukünftige Gestaltung der Mädchen- und Frauenarbeit im BDKJ. In vielen konstruktiven Gesprächen berieten die Delegierten über zukunftsfähige Inhalte und Strukturen. Zur Vorbereitung hatte das Präsidium der Konferenz eine Umfrage unter den Frauen im BDKJ durchgeführt, um möglichst viele Stimmen in den Prozess einzubinden.

Als Konsequenz des Stimmungsbilds und der geführten Diskussionen entscheidet das Präsidium, die Konferenz 2015 zeitlich getrennt von der Hauptversammlung, zweitägig  und in Berlin zu veranstalten. Inhaltlich wurde das BDKJ-Frauenstrategieforum ausgewertet, welches sich mit der Perspektive von Frauen in allen arbeitsweltlichen Bezügen auseinandergesetzt hatte und dabei auch die damals aktuelle Agenda der Frauenministerin aufgegriffen hatte.

2015 findet die Bundesfrauenkonferenz unmittelbar im Anschluss an eine BDKJ-Frauentagung zum Thema „Geflüchtet. Mädchen und Frauen auf der Flucht“ in Berlin statt. Die Delegierten erstellen einen umfangreichen Forderungskatalog um die Situation von weiblichen Geflüchteten zu verbessern. Der Beschluss findet viel Beachtung bei Kooperationspartnerinnen und –partnern und bei Politikerinnen und Politikern.

 

Darüber hinaus formulieren die Delegierten einen offenen Brief an die Bundesministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend Manuela Schwesig, in der sie ihre bisherigen frauenpolitischen Erfolge wertschätzen, ihr Unterstützung für den eingeschlagenen Weg zusagen und einige bisherige Politikergebnisse im Detail konstruktiv-kritisch bewerten.

Das werden wir nicht selten gefragt. Für uns ist die Antwort einfach: weil es auch heute noch gilt, strukturelle Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen abzubauen und zu überwinden und weil der frauenpolitische Blick auf aktuelle Themen weiterhin in Politik, Gesellschaft und Kirche nur mangelhaft eingenommen wird. Daher suchen wir Antworten und Lösungen auf Fragen, die uns am Herzen liegen:

Wie können geflüchtete Mädchen und Frauen in Unterkünften für Geflüchtete besser als bisher vor Gewalt geschützt und ihre spezifischen Bedürfnisse beispielsweise in der Gesundheitsversorgung besser gewahrt werden? Wie lässt sich der signifikante Unterschied in der Bezahlung von Frauen und Männern endlich verkleinern?

Wie kann gewährleistet werden, dass Frauen nicht nur in der ehrenamtlichen Arbeit in den Gemeinden vor Ort sichtbar sind, sondern sie auch in den Leitungsämtern unserer Kirche gemäß ihrem Anteil am Kirchenvolk repräsentiert werden?

Wie lassen sich festgefahrene Rollenbilder endlich aufbrechen, so dass Mädchen und Jungen freier und selbstbestimmter leben können?

In den letzten Jahrzehnten und auch in den vergangenen Jahren hat sich viel, aber noch nicht genug bewegt. Und gerade deshalb braucht es auch weiterhin frauenpolitisch bewegte Zeiten!

 

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Und was macht man so im Verband und was macht ihn aus? Hier geht es weiter zum zweiten Teil zu "100 Jahre Mädchen(verbands)arbeit zum Thema Freizeit.